Der verbotene Schlüssel von Sascha Westphal


„You have to believe“ – „Du musst daran glauben“, diesen Satz hört die angehende Krankenschwester und Altenpflegerin Caroline Ellis ständig, nachdem sie sich entschlossen hat, einen Job tief in den Sümpfen Louisianas anzunehmen. Zunächst soll er sie noch beruhigen. Die seltsamen magischen Zeichen und Rituale, denen sie schon auf ihrem Weg zu dem alten Plantagenhaus von Violet und Ben Devereaux überall begegnet, haben – so heißt es zumindest – nur Macht über die, die an sie glauben. Eine Skeptikerin wie Caroline muss sich also keine Sorgen machen. Sie braucht den Insignien alter magischer Praktiken einfach nur keine Beachtung schenken, dann wird sich nichts für sie ändern.


Aber so simpel, wie sich das bei Carolines bester Freundin und bei Luke, dem jungen Anwalt der Familie Devereaux, anhört, ist es dann doch nicht. Je länger sich die von Kate Hudson gespielte Nordstaatlerin in der düsteren alten Villa aufhält und je mehr sie sich um den nach einem Schlaganfall gelähmten Ben kümmert, desto stärker gerät sie in den Bann von Hoodoo, dieser überall im amerikanischen Süden verbreiteten magischen Tradition. Die Gewissheit, dass nur die anderen, die Abergläubischen, Opfer der geheimnisvollen Praktiken werden können, weicht der zutiefst verunsichernden Frage, ob nicht doch etwas dran sein könnte an den alten Ritualen und den von Generation zu Generation überlieferten Zaubersprüchen. Aus „Du musst daran glauben“ wird „Glaubst du daran?“, und Carolines Antwort darauf wird über ihr Schicksal entscheiden.


Do you believe?“ Diese Frage richtet sich aber nicht nur an Caroline, sie gilt genauso dem Betrachter, der sich in seinem Kinosessel in Sicherheit wiegt. Nur muss er dann doch nahezu die gleichen Entscheidungen wie die junge Frau dort oben auf der Leinwand treffen. Die Welt der Magie und die Welt des Kinos sind eins für Iain Softley. Wir alle werden in dem Moment, in dem wir in den dunklen Saal treten und uns in ein anderes, von einem Filmemacher erschaffenes Universum vorwagen, wie Caroline zu Fremden in einer seltsamen Villa. Gleich bei ihrer ersten Begegnung verkündet die von Gena Rowlands verkörperte Violet, eine Nordstaatlerin werde ihr Haus nie verstehen, und letztendlich wird sie damit sogar Recht behalten. Carolines Unsicherheit und ihre unzureichende Kenntnis der Welt, in die es sie verschlagen hat, aber auch ihre Neugier und ihr eiserner Wille, in dieser fremden Umgebung heimisch zu werden, machen sie zum Double eines jeden Cinephilen. In ihrem Streben nach Antworten spiegelt sich die oft unbestimmte, aber unterschwellig immer präsente Sehnsucht des Kinogängers nach Erkenntnis.


Der Brite Iain Softley war nie daran interessiert, einfach nur eine Geschichte zu erzählen. All seine Filme, seit seinem wundervollem Kinodebüt Backbeat, sind zugleich Reflexionen über das Kino und seine Konventionen. Hinter und zwischen den Bildern verbirgt sich immer noch eine zweite, wenn nicht gar dritte, Ebene, die das Publikum mit seinen Erwartungen und schließlich auch mit seinen eigenen Reaktionen konfrontiert. Der magische, schamanistische Aspekt des Kinos tritt in Softleys Werk in den Vordergrund. Man muss sich einlassen auf seine im Rituellen verwurzelte Art des Erzählens, dann können seine Filme eine beinahe mystische Wirkung erzielen. Softleys Bilder, deren Fluss etwas Hypnotisches hat, gleichen Zaubersprüchen. Sie umfangen den Betrachter und ziehen ihn in ihren Bann, so dass er alles andere um sich herum vergisst. Zugleich erweitert ihr Zauber aber auch das Bewusstsein des Zuschauers und ermöglicht ihm einen Blick auf sich selbst.


Der verbotene Schlüssel beginnt mit einer der rätselhaftesten Parallelmontagen der Filmgeschichte. Caroline, die zu diesem Zeitpunkt noch in einem Hospiz in New Orleans arbeitet, liest einem sterbenden alten Mann aus einem Roman vor. Parallel dazu fliegt die Kamera über einen von Bäumen gesäumten Flusslauf hinweg. Iain Softley schneidet immer wieder von seiner Heldin auf den Fluss. Alleine Carolines Stimme erzeugt einen Eindruck von Kontinuität. Sie schafft eine Verbindung zwischen dem überaus realen Szenario in dem Krankenzimmer und den fast schon abstrakten Landschaftsaufnahmen, während sie zugleich auch noch Bilder aus der exotischen Welt eines alten Abenteuerromans heraufbeschwört. Die Irritation, die aus dem Zusammenprall der Bilder und Ebenen erwächst, wirkt über den ganzen Film nach. Erst am Ende, nachdem sämtliche Teile des Puzzles zusammengekommen sind, weicht sie der Erkenntnis, dass Softley in dieser Parallelmontage all seine Karten auf den Tisch legt. In ihr offenbart sich die dualistische Natur seines Kinos, das Kunst und Magie vereint. Damit es seine ganze Wirkung entfaltet, muss der Betrachter bereit sein, zu glauben, an die erzählte Geschichte wie auch an die transformierende Kraft der Filmbilder an sich.

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Foto:

Kate Hudson  © 2005 Universal Studios