ERFOLG IST EIN GRIECHISCHES WORT

 

MY BIG FAT GREEK WEDDING und sein Triumphzug in den amerikanischen Kinos

 

von Andreas Staben

 

Alljährlich vergleicht die Academy of Motion Picture Arts and Sciences in Hollywood anlässlich ihrer Oscar-Verleihung Äpfel mit Birnen. Über 200 Filme qualifizieren sich in jedem Jahrgang für die begehrte Auszeichnung; dabei wird ein breites Spektrum des Kino-Schaffens abgedeckt. Das wertende Abwägen zwischen Action-Blockbustern und Arthouse-Filmen, zwischen Komödien und Dramen ist ein delikates Unterfangen. Entsprechend bunt zusammengewürfelt kommen einem die Ergebnisse der Prozedur manchmal vor. Trotzdem werden Produzenten und Berichterstatter nicht müde, Mutmaßungen über den Geschmack der Wahlberechtigten anzustellen. Über einige wichtige Zutaten im Erfolgsrezept herrscht immerhin Einigkeit. Neben der Überzeugung, dass die angejährte Wählerschaft nur über ein sehr schlechtes Gedächtnis verfügt, die zu einer Ballung von prestigeträchtigen Premieren in den letzten Wochen des Jahres führt, wird der Erfolg als wesentlicher Faktor im Oscar-Rennen gesehen. Nur die richtige Art von Hit muss es sein...

In der sich gerade zu voller Blüte entfaltenden Diskussion der awards season 2002 kann das ausgeklügelte und eigentümliche Räsonnement der Auguren besonders schön studiert werden. Die Erfolgsstory des Jahres handelt nicht etwa von SPIDER-MAN oder STAR WARS, sondern von einem kleinen Film, der bereits im April das Licht der amerikanischen Leinwände erblickte. Das Ergebnis des ersten Wochenendes war mit 597.000 Dollar Einspiel im Vergleich bescheiden. Mittlerweile hat MY BIG FAT GREEK WEDDING allerdings über 200 Millionen Dollar eingebracht und stand 19 Wochenenden in Folge in den Top 10 der US-Kinocharts. Das Besondere daran: Der Film ist unabhängig produziert, sein Erfolg wird weder von der geballten Marketing-Kraft eines Major-Studios befördert noch durch eine Starbesetzung oder eine publikumsträchtige Vorlage. So ward ein Phänomen geboren, das seit Wochen Gazetten und Talkshows schmückt. Ein solcher Erfolg entzieht sich den üblichen Strategien und Erklärungen, deshalb werden um ihn Legenden gerankt, und gleichzeitig erscheint in vielen Artikeln der Oscar als angemessenes goldenes Happy-End für das Erfolgsmärchen des Jahres.

MY BIG FAT GREEK WEDDING ist eine romantische Komödie um die ledige, etwa 30-jährige Toula Portokalos (Nia Vardalos), die zunächst ein Mauerblümchendasein im Schatten ihrer griechisch-amerikanischen Großfamilie fristet. Sie gilt als Sorgenkind, denn sie scheint meilenweit von der Erfüllung ihrer Bestimmung entfernt: Griechische Mädchen sollen nämlich einen netten jungen Hellenen heiraten, eine Kinderschar zur Welt bringen und für das leibliche Wohl von Mann und Sprösslingen sorgen.  So jedenfalls sehen es Toulas Eltern. Als sie in Ian Miller (John Corbett) die Liebe ihres Lebens findet, trifft die Wahl eines Iren als Bräutigam bei der Familie nicht gerade auf Begeisterung.

Vardalos, die das Drehbuch basierend auf einer eigenen Standup-Routine geschrieben hat, und Regisseur Joel Zwick bewegen sich auf den vertrauten Pfaden der Familien-Komödie, Culture Crash und Toleranz-Lektion inklusive. Vermeintlich typisch Griechisches wird hier mehr oder weniger liebevoll karikiert, von der kitschig antikisierten Architektur des Familien-Domizils über das Unverständnis für vegetarische Küche ("Dann koche ich eben Lamm", so die Reaktion auf die fleischlose Ernährung Ians) bis zur Vorliebe für Ouzo und den Vornamen Nic. Die Überzeugung, dass im alten Hellas die Wiege der Zivilisation stand, treibt beim Familienoberhaupt Gus (Michael Constantine) zuweilen drollige Blüten. Jedes englische oder fremdsprachige Wort (Kimono!) führt er auf seine, natürlich oftmals imaginäre, Wurzel im Griechischen zurück. Diese sketchartigen Elemente, die direkt von der Bühne stammen könnten, geben den Ton vor: Alle Figuren außer Toula sind auf ein Typen-Fach festgelegt, und die Dialoge sind auf Pointenlieferung hin angelegt. Ians steife Intellektuellen-Eltern bleiben klischeehaft-oberflächlich und werden im bunten Treiben der griechischen Schar unfein aufgerieben.

Das monologische Erzählen lässt keinen Raum für Zwischentöne, über sich zwischenzeitlich andeutende Abgründe wird locker hinweg gescherzt. Die Großmutter beispielsweise, die sich stets von bösen Türken verfolgt wähnt und sich in der Gegend verirrt, wird als running gag behandelt und in der Ecke abgestellt. Die gelinde gesagt despotisch angehauchten Familienverhältnisse haben Toula zudem eine regelrecht monströse Kindheit beschert. Nun gehen Grausamkeit und Humor oft Hand in Hand, darum soll es hier nicht gehen. Auffällig ist nur, dass der Fernsehveteran Zwick es nicht versteht auch einmal ein anderes Register zu ziehen als das der Fast-Food-Nummernrevue. Der erzählerische Nährwert bleibt begrenzt.

Woher kommt also der Kult um einen über weite Strecken netten, aber keineswegs besonderen Film? Diese und ähnliche Fragen werden in Hollywood verstärkt gestellt, die ganze Maschinerie wird in Gang gesetzt, um die Zauberformel zu knacken, und einige Film-Klone sollen schon in Arbeit sein. Während dessen wird Nia Vardalos schon fast der Status einer Symbolfigur für die griechische Gemeinde Amerikas zugewiesen - in der Folge von Anthony Quinn, Telly Savalas und Pete Sampras. Die "Untersuchung" des Phänomens hat dieses zu einem erheblichen Teil erst entstehen lassen: Hollywood liebt Geschichten von kometenhaftem Aufstieg und Ruhm, die Anfang des Jahres noch arbeitslose Nia Vardalos kann sich jetzt vor Angeboten kaum noch retten. Deshalb mehren sich die Stimmen, die den Erfolg durch die Mitgliedschaft im exklusivsten Club der Traumfabrik, dem der Oscar-Gewinner, besiegelt sehen wollen. In der New York Times werden Miss Vardalos als Hauptdarstellerin und Autorin persönlich die besten Chancen im Rennen um die goldenen Statuetten eingeräumt. Tom O'Neill, Verfasser mehrerer Bücher über die wichtigsten Filmpreise, sieht MY BIG FAT GREEK WEDDING sogar neben dem lang erwarteten Epos GANGS OF NEW YORK von Martin Scorsese und dem Kritikerliebling ANTWONE FISHER, dem Regiedebüt von Denzel Washington, als einen der vielversprechendsten Kandidaten für die Krone Hollywoods - den Oscar als Bester Film des Jahres. O'Neill argumentiert, dass ein solcher Überraschungserfolg in erster Linie in dieser Hauptkategorie gewürdigt werden kann. Das scheint insofern plausibel, als dass dort keine herausragenden künstlerischen Einzelleistungen sondern die Produktionen als Ganzes nominiert werden. Dies bedeutete im Falle von MY BIG FAT GREEK WEDDING eine Verbeugung vor dem erfolgreichsten Independent-Film aller Zeiten, der Rekord des BLAIR WITCH PROJECT  wurde regelrecht pulverisiert. Vielleicht noch erstaunlicher ist eine zweite Bestmarke: Joel Zwicks Film löste nämlich auch PRETTY WOMAN an der Spitze der kassenträchtigsten romantischen Komödien ab.

Es bleibt festzustellen, dass sich der Rummel wieder einmal verselbständigt, er scheint angesichts des Films erstaunlich und übertrieben. Vielleicht trifft MY BIG FAT GREEK WEDDING mit seiner hinter schnoddrigem Wortwitz versteckten konservativen Affirmation, die mit gestalterischer Klarheit und Einfachheit einher geht, einen Nerv beim Publikum. Dieser Erklärungsansatz hilft den Dr. Oetkers aus Hollywoods Erfolgsküchen nicht wirklich bei der Fabrikation zukünftiger Hits, es bleibt vielmehr festzustellen, dass sich die Filmzuschauer trotz aller Bemühungen glücklicherweise immer noch weitgehend unberechenbar verhalten.

Momentan ist noch nicht abzusehen, ob der Weg für Nia Vardalos und ihre Mitstreiter im März tatsächlich auf dem roten Teppich der Academy Awards endet, möglich scheint es allemal. Wie stellte doch Gus bei seiner Hochzeitsrede fest: Der Familienname Portokalos kommt vom griechischen Wort für Orange; und Miller, den Namen des Bräutigams, führt er in einer weiteren eigenwilligen Herleitung auf die Vokabel "Apfel" zurück. Was für den Vater der Braut unbedingt als gutes Omen zu werten ist: "We're all fruits." Vielleicht bedenken dies die Mitglieder der Academy  bei der Zubereitung ihres diesjährigen Obstsalates. Sicher erwarten können wir wohl eine Fortsetzung des Erfolgs, auch eine TV-Serie MY BIG FAT GREEK LIFE oder wahlweise MY BIG FAT GREEK FAMILY ist bei HBO in Planung.

 

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