DAS LAGER DES GROSSWESIRS, IM MORGENNEBEL

 

Über einen der schönsten deutschen Filme – zum 100. Geburtstag des Drehbuchautors und Regisseurs Walter Reisch

 

Der deutsche Film der Nachkriegsjahre hat nach wie vor keinen guten Ruf. Deutsches Kino, das von ästhetischer Bedeutung ist: das reduziert sich auch heute noch für allzu viele auf die Klassiker der Weimarer Republik einerseits, den Neuen Deutschen Film andererseits. Dabei gibt es für abenteuerlustige Cinephile gerade in den 50er Jahren ungeheure Entdeckungen jenseits des anerkannten Kanons zu machen: von Fritz Langs meisterhaft inszeniertem Spätwerk über delirierende Melodramen wie Veit Harlans HANNA AMON oder Georg Wilhelm Pabsts BEKENNTNIS DER INA KAHR, Helmut Käutners unglaublich wilden EPILOG oder die grandiosen Filme von Frank Wisbar bis zu Regisseuren wie Rolf Thiele oder Kurt Hoffmann, die schon auf der Suche nach einem neuen Kino waren und (manchmal gerade in ihrem Scheitern) heute ungeheuer spannend und anregend sein können. Und daneben noch ein Film, über den Fritz Göttler in seinem wunderbaren Text über das Kino der Nachkriegsjahre (in der „Geschichte des deutschen Films“ bei Metzler) geschrieben hat, es sei ein „Film, dem nichts gleicht im deutschen Kino der damaligen Zeit“: DER CORNET von Walter Reisch, eine Verfilmung von Rainer Maria Rilkes „Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“, aus dem Jahr 1955.

 

Als Walter Reisch Mitte der 50er Jahre nach Deutschland zurückkehrte, in das Land seiner ersten Erfolge, um den CORNET zu inszenieren, hatte er bereits eine große Karriere hinter sich – oder, genauer gesagt, sogar drei große Karrieren. Geboren am 23. Mai 1903 in Wien, wurde er in den späten 20er und frühen 30er Jahren einer der erfolgreichsten deutschen Drehbuchautoren, verantwortlich für Kinohits der damaligen Zeit wie Gustav Ucickys Friedrich-der-Große-Klassiker DAS FLÖTENKONZERT VON SANSSOUCCI oder den legendären Hans-Albers-Abenteuerfilm F.P.1 ANTWORTET NICHT.

1933 ging Reisch nach Österreich, wo der Starschauspieler Willi Forst (auch 1903 geboren, am 7. April – und somit auch einer der großen Hundertjährigen dieses Jahres) gerade vom Regieführen träumte, und von einer Erneuerung des biederen österreichischen Films. In Reisch fand er einen Gleichgesinnten, und mit dem Schubert-Film LEISE FLEHEN MEINE LIEDER und dem hinreißenden Nachfolger MASKERADE läutete das Team (zusammen mit Max Ophüls‘ LIEBELEI) das goldene Zeitalter des österreichischen Kinos ein, eine Dekade, in der der Wiener Film große künstlerische und kommerzielle Erfolge feiern konnte und in ganz Europa zu einem Qualitätsbegriff wurde, für ein Kino voller nostalgischem Reichtum, Charme und Witz. Mit seinem Regiedebüt EPISODE schuf Reisch dann auch selber einen – allerdings eher untypischen – Klassiker des Wiener Films, eine Geschichte über die Folgen der Inflationszeit, mit Paula Wessely in der Hauptrolle.

Nach dem Mißerfolg seiner nächsten Regiearbeit, SILHOUTTEN, ging Reisch 1936 zunächst zu dem legendären britischen Produzenten Alexander Korda nach London, für den er unter anderem am Drehbuch für THAT HAMILTON WOMAN (LORD NELSONS LETZTE LIEBE) arbeitete, und Ende der 30er Jahre dann nach Hollywood, wo er schnell zu einem Starautor wurde (und heute das Schicksal vieler großer Autoren teilt, deren Namen kaum jemandem geläufig sind, obwohl sie grandiose Drehbücher für Filmklassiker geschrieben haben, die jeder kennt). Für Lubitsch schrieb er NINOTCHKA und THAT UNCERTAIN FEELING (EHEKOMÖDIE), für George Cukor GASLIGHT (DAS HAUS DER LADY ALQUIST), für King Vidor die Story für COMRADE X, für Otto Preminger die wunderbare und viel zu wenig bekannte Oscar-Wilde-Verfilmung THE FAN, für Jean Negulesco den TITANIC-Film von 1953, mit Barbara Stanwyck – dafür wurde Reisch dann mit dem Oscar für das beste Drehbuch ausgezeichnet. Einen Film, den Reisch 1947 inszeniert hat, SONG OF SHEHERAZADE, würde ich liebend gerne mal sehen: eine tolle Geschichte muß das sein um ein russisches Militärschiff im Marokko des 19. Jahrhunderts, den jungen Komponisten Rimsky-Korsakow und eine von Yvonne De Carlo gespielte spanische Cabaret-Tänzerin. In den späten 50er Jahren zog er sich dann vom Film zurück; seinen letzten Credit hatte er 1959 als einer von drei Autoren bei Henry Levins Jules-Verne-Verfilmung JOURNEY TO THE CENTER OF THE EARTH (DIE REISE ZUM MITTELPUNKT DER ERDE). 1983 ist Walter Reisch in Bel Air gestorben.

 

„Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag. Reiten, reiten, reiten, und der Mut ist so müde geworden und die Sehnsucht so groß.“ Mit einem Off-Text aus Rilkes Vorlage beginnt DER CORNET, und mit Bildern von einem kleinen Trupp berittener Soldaten, die langsam über eine schier unendliche Ebene ziehen: Ein Ton der Melancholie liegt schon über diesen ersten Momenten, eine Aura von Heimweh, eine Empfindung von zielloser Verlorenheit in den weiten Feldern und fernen Horizonten; ein Auftakt, der sofort einen emotionalen Reichtum evoziert, wie ihn nur selten die Eröffnungsszene eines Films enthalten hat.

Die Handlung spielt im späten 17. Jahrhundert, zur Zeit der Türkenkriege, irgendwo zwischen Ungarn und Mähren; eine unübersichtliche Front, an der sich die christlichen Truppen und das osmanische Heer gegenüberstehen, kleine Scharmützel hier und dort, Abnutzungskrieg. Aber im Grunde ist die Lage des kaiserlichen Heeres verzweifelt: Die türkischen Truppen sind an Zahl und Bewaffnung überlegen, die einheimische Bevölkerung steht im Sold der Osmanen, lockt versprengte Soldaten in tödliche Fallen und verrät die Truppenbewegungen an die Agenten des Großwesirs. Der Anführer der Kaiserlichen träumt daher vom großen Coup, bevor der Winter einbricht: die weit verstreuten türkischen Truppen irgendwo zu konzentrieren, in eine Falle zu locken, um dann einen entscheidenden Waffengang zu wagen. Eine kleine Abteilung, die eine wichtige Brücke verteidigt, soll als Köder dienen: sich zurückziehen in ein verteidigungsunfähiges Schloß in der Etappe, scheinbar schutzlos.

Um den jungen Christoph Rilke von Langenau (Götz von Langheim) geht es, die Titelfigur des Films (Cornet, das ist übrigens eine alte Bezeichnung für einen Fähnrich), der von der Militärakademie fortgelaufen ist, kurz vor seinem Examen, um gegen die Türken zu kämpfen. Mit einem Empfehlungsschreiben kommt er zum Kommandanten der kaiserlichen Truppen, dem Grafen Spork, der sich „Spork Graf“ nennen läßt, weil der Spork zuerst dagewesen sei und der Graf erst später kam. Ein gefährlicher Ritt ist zu unternehmen, mit Geheimbefehlen zur Abteilung des Freiherrn Pirovano (Wolfgang Preiss), und Rilke von Langenau meldet sich freiwillig. Als er die Nachricht überbracht hat, schließt er sich dem Freiherrn an, als Fahnenträger des Regiments. Die Truppe bezieht ein Schloß, dessen Ländereien von der Witwe eines Grafen, der vor langen Jahren schon im Krieg gefallen ist, beherrscht werden. Dort schreibt Rilke seiner Mutter dann einen Brief: „Meine gute Mutter, seid stolz: Ich trage die Fahne, seid ohne Sorge: Ich trage die Fahne, habt mich lieb: Ich trage die Fahne.“

Die Gräfinwitwe (gespielt von der Schwedin Anita Björk, die durch Filme wie Alf Sjöbergs FRÖKEN JULIE oder Ingmar Bergmans SEHNSUCHT DER FRAUEN berühmt geworden war) hat sich seit dem Tode ihres Mannes ganz in der Trauer ihrer Witwenschaft vergraben, die Blüte ihrer Jugend ist darüber hingegangen, und doch fühlt man, daß sie noch jung ist und in ihrem tiefsten Inneren voller Träume, noch einmal wirklich leben zu dürfen. Nachts, während die Soldaten ein tolles Fest feiern, von dem sie sich fernhält, begegnet sie in einer entlegenen Ecke des Schlosses dem Junker Rilke von Langenau, der sie spielerisch-jungenhaft zu umwerben beginnt. Sie ist gerührt von den Avancen des halben Kindes, und zugleich auch voller Einsamkeit und Sehnsucht danach, den Käfig ihrer Trauer zu verlassen. Die Gräfin und Rilke finden zueinander, und rasch wird das spielerische Werben zu einer echten Liebe. Als die Gräfin vom Plan des Spork Grafen erfährt, lockt sie Rilke vom Schloß weg, um wenigstens sein Leben zu retten; ein Adler, den ihr Mann einst zur Beizjagd ausbilden wollte und den Rilke nun abrichten soll, ist ihr Köder. Aber ihre Intrige fliegt am nächsten Morgen auf, Rilke will seine Kameraden nicht im Stich lassen, und sie kehren zurück. Bald darauf erscheinen die Truppen des Großwesirs, der das Schloß kampflos einnimmt; Pirovano kapituliert, und dann läßt der Großwesir das Schloß in Brand stecken, um das Regiment zu vernichten. Um nicht ohne Widerstand zu verrecken, unternimmt man einen verzweifelten und vergeblichen Ausbruchsversuch; das Regiment wird niedergemetzelt. Rilke, der die Ankunft des Großwesirs nach seiner Nacht mit der Gräfin in einem Turmzimmer verschlafen hat, wird vom Feuer geweckt; mit der Fahne wirft er sich noch in den Kampf und kommt ums Leben. Dann schnappt die Falle des Spork Grafen zu: ein großer Sieg für die Christen, ein trauriger Sieg.

„Im nächsten Frühjahr (es kam traurig und kalt) ritt ein Kurier des Freiherrn von Pirovano langsam in Langenau ein. Dort hat er eine alte Frau weinen sehen.“

So ungefähr geht die Handlung von Reischs CORNET; aber eigentlich kann man bei diesem Film kaum noch wirklich von einer Handlung sprechen. „DER CORNET“, hat Fritz Göttler geschrieben, „das ist keine Geschichte mehr, nur noch eine Landschaft, ein Ort der Träume. Weinberge und Wälder, Felder und Auen, Lagerfeuer und Pferde, verlassene Gehöfte und Schlösser, Karren und Kanonen, die einsam in der Gegend stehen.“

 

Was am Ende von Filmen im Gedächtnis bleibt, das sind ja oft ohnedies nur unvergeßliche Szenen; und DER CORNET ist reich an solchen Momenten wie kaum ein anderer deutscher Film.

Ganz am Anfang schon, als Rilke noch auf dem Weg an die Front ist, die Szene am Lagerfeuer, Lieder werden gesungen, ein französischer Marquis, der die kleine Gruppe Freiwilliger anführt, spricht mit Rilke über die Frauen, die sie in der Heimat zurückgelassen haben, und die Sehnsucht nach Zuhause. Dann die Kutsche des Spork Grafen, ein ambulantes Hauptquartier auf dem Hügel über seinem Feldlager. Rilkes Kurierritt durch das Schattenspiel eines Waldes im Morgendunst; eine Frau, an einen Baum gefesselt, die um Hilfe fleht und um Wasser; aber aus dem Brunnen taucht dann die Leiche eines Kameraden auf, der Neffe und Adjutant des Spork Grafen, mit dem selben Auftrag losgeschickt wie Rilke selbst (an Graf Potockis großen Roman „Die Handschrift von Saragossa“ fühlt Fritz Göttler sich von dieser Szene erinnert, eines der Lieblingsbücher der Surrealisten); und dann sind auf einmal, wie ein Spuk, zwei türkische Krieger da, denen Rilke mit knapper Not entkommt. Der Geheimschreiber des Pirovano, ein Mönch, gespielt von Peter van Eyck, der einmal sagt, sein Kreuz sei vom Papst geweiht worden, sein Schwert aber auch. Das Lager des Großwesirs, fremdländische Gestalten und bunte Zelte inmitten einer sanften und nebligen Flußaue, ein Diener, der einen Gong schlägt, und der Großwesir selbst (Fritz Rasp), ein kleiner Mann mit Turban und hartem Gesicht und ein Schmetterlingssammler – als man ihm berichtet, das Regiment sei im Schloß ins Quartier gegangen, schutzlos, sagt er nur „Pirovano“, und dann schwenkt die Kamera nach unten, und man sieht einen aufgespießten Schmetterling, durch eine Lupe vergrößert; die Präzision und Dichte, mit der Reisch das gefilmt hat, ist schlicht atemberaubend. Die Szenen mit dem Adler, den Rilke zur Beizjagd ausbilden will, und der nächste Morgen dann mit der Gräfinwitwe, wenn einen Moment lang alles offen scheint, als ob man einfach fortgehen könnte, leben, sich lieben, irgendwo; aber dann gibt es doch die unsichtbaren Bande, die Rilke zurückziehen zu seinem Regiment, und die Gräfin läßt den Adler fliegen, in die Freiheit, zumindest ihn. Und die Begeisterung des wilden Opfertaumels, wenn Rilke sich mit der Fahne in der Hand in den letzten Kampf seiner Truppe wirft, um von den Krummsäbeln der Türken zerhauen zu werden: „Aber, als es jetzt hinter ihm zusammenschlägt, sind es doch wieder Gärten, und die sechzehn runden Säbel, die auf ihn zuspringen, Strahl um Strahl, sind ein Fest. Eine lachende Wasserkunst“, heißt es in Rilkes Vorlage. DER CORNET ist ein Film der magischen Momente wie kaum ein anderer der deutschen Kinogeschichte.

 

Eigentümlich stehen eine oft bis zum Preziösen getriebene Poesie und eine harte Faktizität nebeneinander in Rainer Maria Rilkes Prosaballade; und in Reischs Verfilmung findet man diese Kontraste auch, nur ganz anders verschmolzen, als ob Poesie und Wirklichkeit wahrhaft eines wären. Reisch (in der „Filmwoche“ vom 3.9.1955) über die Dreharbeiten für seinen Film: „Nur primäre Farben wurden verwendet, auf jede Atelierarbeit verzichtet. Wirkliche Landschaften wurden gewählt, um den Hintergrund des Filmes zu malen. Keine Bauten wurden in Halle III in Tempelhof oder in Geiselgasteig errichtet. In Bauten, die seit Jahrhunderten stehen, wurde gedreht. Das Lager Spork wurde auf keiner Freilichtbühne erbaut, sondern liegt auf einem Hügel im fränkischen Land, wo noch kein Telegraphenpfahl die Erde je durchbohrt hat. Die Sporkschen Reiter wurden nicht in Filmbörsen ausgemustert, sondern von Weinbergen geholt, von fränkischen Äckern. Keine Schminke durfte sonnverbrannte Gesichter vortäuschen. Echte Gesichter, die noch niemals vor einer Kamera standen, spielen mit.“ Ein heute ungewohnt klingender Pathos liegt in diesen Zeilen, fern vom spielerischen Gestus, mit dem etwa die Dogma-Bewegung Realismus postuliert hat; bei Reisch erscheint einem die Wirklichkeit noch ganz wie etwas, das der Filmemacher mit harter Hand erobern müsse, und als könne man sich damit quasi die ganze Welt dienstbar machen. Und dann, daneben, die blanke Exotik der Türkenkostüme, der surreale Spuk der osmanischen Krieger und ihrer Agenten, die plötzlich aus einem Schatten oder hinter einem Baum hervorspringen, die malerische Poesie der Landschaften, wunderschön gefilmt von dem schwedischen Kameramann Göran Strindberg. Und beides, Romantik und Realismus, zarte Lyrik der Empfindung und harte Wirklichkeit, rankt sich aneinander empor, um sich schließlich ganz und gar zu durchdringen in diesem Wunder von einem Film; als ob es gar nicht anders sein dürfe, und als ob man sich Kino eigentlich gar nicht anders denken kann.

 

Ein „Film, dem nichts gleicht im deutschen Kino der damaligen Zeit“ (Göttler) – und man fragt sich, ob ihm überhaupt etwas gleicht im deutschen Kino oder im europäischen. Am ehesten scheint mir DER CORNET ein deutscher Western zu sein. Um eine europäische Frontier geht es da, an der überall Fallen und Hinterhalte lauern. Und die Handlung, das ist ein bißchen die Alamo-Geschichte, die kleine Truppe, die sich opfert für einen großen Sieg (wenn es auch in den Alamo-Western immer um Zeit geht, die Zeit nämlich, die die Texaner brauchen, um eine Armee aufzustellen im Freiheitskampf gegen die Mexikaner, und hier, im CORNET, um den Raum und darum, ein verstreutes feindliches Heer auf einen Punkt zusammenzuziehen); und ganz und gar THE ALAMO ist natürlich die Szene, in der Pirovano seinen Soldaten den kühnen Plan enthüllt, in dem sie als Köder dienen sollen, und alle in den Ruf ausbrechen „Hoch Pirovano“; und dann ist es aber auch wieder ganz anders, denn Pirovanos Offiziere haben die Truppe schon vorher informiert, um den seit langem von einer Verwundung geschwächten Freiherrn zu schonen; Pirovano bricht daraufhin in Tränen aus, des Zornes ebenso wie der Rührung, was der Szene eine Wärme verleiht und einen unheroischen und gefühlvollen Ton, wie man ihn sich in der entsprechenden Szene bei John Wayne gar nicht vorstellen kann. Am allermeisten erinnert mich DER CORNET aber an die Filme von John Ford: die kleine aus aller Welt zusammengezogene und doch innig verschworene Truppe in feindlicher Welt, die von Melancholie und Heimweh durchwobene Stimmung, die geradezu mystische Bedeutung der Fahne des Regiments. Fritz Göttler schreibt: „Wenn der Kommandierende am Ende die Verluste des letzten Scharmützels erfährt, ist die Stimmung wie in John Fords SHE WORE A YELLOW RIBBON, wenn die Veteranen die Namen der Toten von der Schlacht am Little Big Horn hören.“

Und nicht zuletzt sind es die Bilder des CORNET, die einen an den Western und an Ford denken lassen, mit ihrem Sinn für die Topographie der Landschaft und mit ihrer kraftvollen, unsentimentalen und gewissermaßen „männlichen“ Schönheit; und die dann doch auch wieder ganz anders sind als im amerikanischen Western, vollgesogen mit jahrhundertealter Geschichte. Man kann von einem ganz anderen deutschen Kino träumen, wenn man den CORNET sieht, einem Kino, das offen ist wie die weiten Landschaften des Films, voller Aufbruch und Abenteuer und zugleich voller Geschichte und reichen Schattierungen des Gefühls. Man fängt an zu träumen, wie ein Kino hätte sein können, das an den CORNET anknüpft, ein genuin europäisches Pendant zum Western, und ist zugleich traurig darüber, daß es dieses Kino so nie gegeben hat – und womöglich auch nie geben konnte, weil DER CORNET zu sehr ein Alterswerk ist, zu abgeklärt und weise, als daß er wirklich auf eine junge Generation von Filmemachern wirken konnte. Und vielleicht kann man sich den CORNET auch nur als den Film eines Remigranten denken, der zurückgekehrt ist aus dem Exil, der die Fremde und das Heimweh kennt wie kein anderer und der eben auch deswegen einen ganz eigenen Blick hat auf die Welt des alten Europa, die Landschaften und die Gebäude und die Menschen. So blieb Reischs Film ein Solitär, einer der schönsten und vollkommensten Filme überhaupt: nichts Geringeres als ein Meisterwerk.

 

 

Thomas Klarmeyer

 

 

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